"La Promenade" Die Story! Lange Fassung
Der Wunsch in einen Fotoapparat zu schlüpfen
Das Projekt begann mit der Idee einen Fotoapparat zugänglich zu machen. Verwirklicht wurde die Idee 2002 im Basler Rheinhafen. Im Silo 5 wurde ein Repertoire unterschiedlicher Projektionsmittel erarbeitet und in grossflächige, vergängliche Bilder umgesetzt. Die unmittelbaren Lichtwechsel, die fliessenden Bewegungen hatten eine Kraft, die nicht festzuhalten war. Zwar wurde die Situation in verschiedenen Medien abgebildet, die Faszination aber blieb aus. Was sich auf Filmen zeigt, ist die Grenze der technischen Reproduzierbarkeit.
Ein Dilemma, das Derrida zuspitzt:
"Welcher Art auch immer die Kunst des Fotografen sei, also sein Eingreifen, sein Stil, es gibt einen Punkt, an dem der fotografische Akt nicht ein künstlerischer Akt ist, ein Punkt, wo er passiv aufzeichnet. Und diese hervorstechende Passivität stellte diesen Bezug zum Tod dar, sie ergreift eine Realität, die da ist, die da gewesen ist, in einem unauflöslichen Jetzt. Man muss mit einem Wort zwischen der Kunst und dem Tod wählen. Oder noch anders zwischen einer mit der Technik verbundenen Kunst einerseits und einer Kunst andererseits wählen, die über Kunst und techné hinausginge, wobei sie deren authentische Bestimmung erfüllte, um die Wahrheit selbst zu bewerkstelligen (in einem Sinne, der dem nahe ist, was Heidegger darüber im Ursprung des Kunstwerks verlauten lässt). Das wäre die Schönheit oder Erhabenheit der Fotografie, aber ihre fundamental nicht-künstlerische Qualität: Auf einen Schlag wäre man einer im Grunde nicht beherrschbaren Erfahrung ausgeliefert, dem, was nur einmal stattfindet. Man wäre unter diesen Umständen passiv und exponiert/belichtet, der Blick selbst wäre der exponierten/belichteten Sache exponiert, und zwar in der Zeit ohne Dichte einer Null-Zeit, in einer Belichtungszeit, die sich auf den Punkt der Augenblicklichkeit reduziert. Die Kunst wäre selbst durch eine Nicht-Kunst bedingt, - oder was aufs gleiche hinausläuft - durch eine Hyper- Aesthetik, durch in gewisser Hinsicht unmittelbare und natürliche Wahrnehmung: eine unmittelbar reproduzierte, unmittelbar archivierte Wahrnehmung."
(Jacques Derrida, die Fotografie als Kopie, Archiv und Signatur, ein Gespräch mit Hubertus v. Amelunxen und Michael Wetzel, 1992, S.284 ff, in Hubertus von Amelunxen, Theorie der Fotografie IV 1980-1995, München, Schirmer/Mosel)
Die Installation als Organ
Im Dilemma zwischen Kunst und Tod, Kunst oder Technik zu wählen, bleibt als weitere Möglichkeit nicht in die inerten Systeme der Begriffe und Repräsentationen einzutreten, die Entscheidung offen zu halten, in der Schwebe zu bleiben. Der Blick fällt auf das Nächstliegende - die eigene Wahrnehmung.
Für das Projektstipendium im Kunstraum Baden (2004) wurden deshalb Linsen entwickelt, die sich nicht an technisch perfekter Abbildung, sondern an der Physiologie des menschlichen Auges mit seinen organischen Gegebenheiten orientieren. Dadurch entsteht eine Art visueller Rückkopplung ins eigene, innere Empfinden. In der Installation erscheint ein Bildraum, der dem nahe kommt, den wir in uns selbst erleben. Die Aussen-schwingung des Tageslichts (Photonen) tritt mit der Eigenschwingung (dem dunklen Licht) der Photorezeptoren in Dialog. Das natürliche Licht aktiviert dadurch die organischen und mentalen Potenziale der Betrachter. Hinter den Augen wird eine unbe-wusste Erinnerungskaskade angestossen, die in diesem schwer zu durchschauenden Bildraum Gewissheit herstellen will.
Den mentalen Vorgang beschreibt Damasio:
"Im Gehirn werden nicht Polaroidauf-nahmen von Menschen, Gegenständen und Landschaften oder Tonbänder von Musik und Rede abgelegt. (...) Mit einem Wort, es scheint keine Speicherung von konkreten Abbildern in irgendeiner Form zu geben, weder miniaturisiert noch auf Mikrofilm noch als Hardcopy. (...) Wir alle können uns auch unmittelbar davon überzeugen, dass wir, wenn wir uns einen bestimmten Gegenstand, ein Gesicht oder ein Ereignis ins Gedächtnis rufen, nicht eine exakte Reproduktion des Originals, sondern eine Interpretation, eine Rekonstruktion des Originals erhalten. (...)
In einem vorläufigen Versuch, dieses Problem zu lösen, heisst es, dass diese Vorstellungsbilder momentane Konstruktionen sind, Versuche, Muster zu kopieren, die wir einst erlebt haben.(...)
Die Entladungsmuster entstehen durch die Stärkung oder Schwächung von Synapsen, was sich wiederum auf mikroskopischer Ebene aus Funktionsänderungen innerhalb der faserförmigen Verzweigungen der Neuronen ergibt. Eine dispositionelle Repräsentation liegt in potenziellem Zustand vor und ist auf Aktivierung angewiesen - wie ein Dornröschenschloss."
(Antonio R. Damasio, Descartes Irrtum, 2004, List, S144ff)
Bilder wie gesprochene Wörter
Die Welt der magischen Illusionen ist Geschichte. Medien sind keine Prinzen, sondern Simulanten. Sie tun "als ob" und wir liegen für immer daneben. Der innere Bildraum ist kein Ort, der gefüllt werden muss. Er ist eine mentale Plastik, die geformt sein will in einem Dialog mit der Welt.
Biel, September 2005
Das Projekt begann mit der Idee einen Fotoapparat zugänglich zu machen. Verwirklicht wurde die Idee 2002 im Basler Rheinhafen. Im Silo 5 wurde ein Repertoire unterschiedlicher Projektionsmittel erarbeitet und in grossflächige, vergängliche Bilder umgesetzt. Die unmittelbaren Lichtwechsel, die fliessenden Bewegungen hatten eine Kraft, die nicht festzuhalten war. Zwar wurde die Situation in verschiedenen Medien abgebildet, die Faszination aber blieb aus. Was sich auf Filmen zeigt, ist die Grenze der technischen Reproduzierbarkeit.
Ein Dilemma, das Derrida zuspitzt:
"Welcher Art auch immer die Kunst des Fotografen sei, also sein Eingreifen, sein Stil, es gibt einen Punkt, an dem der fotografische Akt nicht ein künstlerischer Akt ist, ein Punkt, wo er passiv aufzeichnet. Und diese hervorstechende Passivität stellte diesen Bezug zum Tod dar, sie ergreift eine Realität, die da ist, die da gewesen ist, in einem unauflöslichen Jetzt. Man muss mit einem Wort zwischen der Kunst und dem Tod wählen. Oder noch anders zwischen einer mit der Technik verbundenen Kunst einerseits und einer Kunst andererseits wählen, die über Kunst und techné hinausginge, wobei sie deren authentische Bestimmung erfüllte, um die Wahrheit selbst zu bewerkstelligen (in einem Sinne, der dem nahe ist, was Heidegger darüber im Ursprung des Kunstwerks verlauten lässt). Das wäre die Schönheit oder Erhabenheit der Fotografie, aber ihre fundamental nicht-künstlerische Qualität: Auf einen Schlag wäre man einer im Grunde nicht beherrschbaren Erfahrung ausgeliefert, dem, was nur einmal stattfindet. Man wäre unter diesen Umständen passiv und exponiert/belichtet, der Blick selbst wäre der exponierten/belichteten Sache exponiert, und zwar in der Zeit ohne Dichte einer Null-Zeit, in einer Belichtungszeit, die sich auf den Punkt der Augenblicklichkeit reduziert. Die Kunst wäre selbst durch eine Nicht-Kunst bedingt, - oder was aufs gleiche hinausläuft - durch eine Hyper- Aesthetik, durch in gewisser Hinsicht unmittelbare und natürliche Wahrnehmung: eine unmittelbar reproduzierte, unmittelbar archivierte Wahrnehmung."
(Jacques Derrida, die Fotografie als Kopie, Archiv und Signatur, ein Gespräch mit Hubertus v. Amelunxen und Michael Wetzel, 1992, S.284 ff, in Hubertus von Amelunxen, Theorie der Fotografie IV 1980-1995, München, Schirmer/Mosel)
Die Installation als Organ
Im Dilemma zwischen Kunst und Tod, Kunst oder Technik zu wählen, bleibt als weitere Möglichkeit nicht in die inerten Systeme der Begriffe und Repräsentationen einzutreten, die Entscheidung offen zu halten, in der Schwebe zu bleiben. Der Blick fällt auf das Nächstliegende - die eigene Wahrnehmung.
Für das Projektstipendium im Kunstraum Baden (2004) wurden deshalb Linsen entwickelt, die sich nicht an technisch perfekter Abbildung, sondern an der Physiologie des menschlichen Auges mit seinen organischen Gegebenheiten orientieren. Dadurch entsteht eine Art visueller Rückkopplung ins eigene, innere Empfinden. In der Installation erscheint ein Bildraum, der dem nahe kommt, den wir in uns selbst erleben. Die Aussen-schwingung des Tageslichts (Photonen) tritt mit der Eigenschwingung (dem dunklen Licht) der Photorezeptoren in Dialog. Das natürliche Licht aktiviert dadurch die organischen und mentalen Potenziale der Betrachter. Hinter den Augen wird eine unbe-wusste Erinnerungskaskade angestossen, die in diesem schwer zu durchschauenden Bildraum Gewissheit herstellen will.
Den mentalen Vorgang beschreibt Damasio:
"Im Gehirn werden nicht Polaroidauf-nahmen von Menschen, Gegenständen und Landschaften oder Tonbänder von Musik und Rede abgelegt. (...) Mit einem Wort, es scheint keine Speicherung von konkreten Abbildern in irgendeiner Form zu geben, weder miniaturisiert noch auf Mikrofilm noch als Hardcopy. (...) Wir alle können uns auch unmittelbar davon überzeugen, dass wir, wenn wir uns einen bestimmten Gegenstand, ein Gesicht oder ein Ereignis ins Gedächtnis rufen, nicht eine exakte Reproduktion des Originals, sondern eine Interpretation, eine Rekonstruktion des Originals erhalten. (...)
In einem vorläufigen Versuch, dieses Problem zu lösen, heisst es, dass diese Vorstellungsbilder momentane Konstruktionen sind, Versuche, Muster zu kopieren, die wir einst erlebt haben.(...)
Die Entladungsmuster entstehen durch die Stärkung oder Schwächung von Synapsen, was sich wiederum auf mikroskopischer Ebene aus Funktionsänderungen innerhalb der faserförmigen Verzweigungen der Neuronen ergibt. Eine dispositionelle Repräsentation liegt in potenziellem Zustand vor und ist auf Aktivierung angewiesen - wie ein Dornröschenschloss."
(Antonio R. Damasio, Descartes Irrtum, 2004, List, S144ff)
Bilder wie gesprochene Wörter
Die Welt der magischen Illusionen ist Geschichte. Medien sind keine Prinzen, sondern Simulanten. Sie tun "als ob" und wir liegen für immer daneben. Der innere Bildraum ist kein Ort, der gefüllt werden muss. Er ist eine mentale Plastik, die geformt sein will in einem Dialog mit der Welt.
Biel, September 2005
do-little - 11. Sep, 12:04